Am Rhein sind die ersten z.T. imposanten Lachs-Rückkehrer eingetroffen und der Wiedereinbürgerung verstärkte Präsenz in den Medien und in der Öffentlichkeit beschert.
Mit neuem Elan werden weitere Projekte an verschiedenen Stellen angegangen. Dennoch ist gibt es noch einen hohen Informationsbedarf für die praktischen Belange der Lachs-Wiedereinbürgerung. Zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist die Auswahl des Lachsstammes für die Wiedereinbürgerungsmaßnahmen in mitteleuropäischen Flußsystemen.
Diese Entscheidung wurde für die bisher existierenden praktischen Besatzmaßnahmen auf einer außerordentlich schmalen Basis an Vorinformation getroffen. Steckten zum Zeitpunkt der ersten Wiedereinbürgerungsmaßnahmen in Norddeutschland die Erkenntnisse der Wandersalmoniden-Forschung noch in den Kinderschuhen, so liegen heute Forschungsergebnisse vor, die einerseits weit gestreut und schwer auffindbar sind, andererseits für die Einschätzung ihrer Bedeutung für die Praxis einer Interpretation bedürfen.
Die LMS hat sich daher vertieft mit dieser Frage auseinandergesetzt, Hier sind die vorläufigen Ergebnisse der Informationssammlung zu diesem Thema.
Zu einigen Kernfragen soll hier Stellung genommen werden:
Was verbirgt sich hinter dem Begriff Lachsstamm?
Hier liegen ganz unterschiedliche Interpretationen des Begriffes vor, je nach Zielsetzung dessen, der diesen Begriff benutzt.
Im engsten Sinne bezieht sich der Begriff Stamm ausschließlich auf die Individuen einer mehr oder weniger eindeutig abzugrenzenden Lachspopulation (meist eines Flußsystems) in Hinblick auf die von ihnen vererbbaren Eigenschaften.
Die für den Betrachter erkennbaren Unterschiede zwischen teilweise eng benachbarten Populationen legen die Vorstellung nahe, daß durch die starke Heimkehrtreue der Lachse und die damit einhergehende Fortpflanzung ausschließlich mit Partnern der gleichen Flußpopulation zur Ausbildung erblicher Unterschiede zwischen den Populationen geführt hat.
Der Nachweis dieser Unterschiede (sei es im Körperbau, der Färbung, der zeitlichen Struktur der Abwanderung und Heimkehr, der Grilse-Anteile an den Rückkehrern etc.) erlaubt jedoch keineswegs den direkten Schluß auf wirkliche genetische Unterschiede der Populationen.
Wenn Genetiker von Stämmen sprechen, sehen sie diese in der Regel ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Fixierung von Eigenschaften im Erbmaterial.
In diesem exakten, wenn auch recht engen Blickwinkel erstaunen dann auch die Erkenntnisse von Genetikern nicht, daß die genetisch nachweisbare Unterschiedlichkeit der einzelnen Lachspopulationen abgesehen von der weitgehend gesicherten Trennung von einer amerikanischen und europäischen Unterart von Salmo salar vergleichsweise gering ist (im Gegensatz z.B. zur Bach/Meer/Seeforelle Salmo trutta) .
Es sind auf molekuarer Basis zwar hier und da auch innerhalb der Unterarten Unterschiede in der Zusammensetzung von Eiweißen nachzuweisen und ggfs. der Parallelverlauf ihres Vorhandenseins mit gewissen optischen oder quantitativen Erscheinungsformen von lokalen Lachspopulationen feststellbar, aber über eine wirklich vorhandene Abhängigkeit der für uns erkennbaren Eigenschaften von den erkannten genetischen Eiweißunterschieden kann keinerlei gesicherte Aussage getroffen werden.
Was der "normale" Betrachter von Lachsen aus verschiedenen Gewässersystemen als Unterschied wahrnimmt, ist wohl weitgehend auf eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit zurückzuführen. Sie wurde bereits 1936 durch ostkanadische Versuche bestätigt, in denen in Fremdsysteme in frühen Lebensstadien naturnah ausgebrachte Lachse bereits in der ersten Generation die Gewohnheiten der "Ureinwohner" angenommen hatten. Grilse-Flüsse lassen sich erfahrungsgemäß auch durch massenhaftes Einbringen von Fischmaterial aus "Mehr-Seewinter"-Flüssen nicht zu Großlachs-Lebensräumen umpolen.
Andererseits soll nicht verschwiegen werden, daß schottische Lachse, die (leider ist nicht bekannt, in welcher Lebensphase) in südfranzösische Großflüsse ausgebracht wurden, erhebliche Schwierigkeiten hatten, ihre Laichreife mit dem Erreichen geeigneter Laichgründe zu synchronisieren. Ob dies eine genetische Grundlage hatte, kann leider nicht festgestellt werden, da der neue Heimatfluß erheblich mit Wehrbauten belastet war, die die Wanderung evtl. verzögert haben könnten.
Auch neuere Erfahrungen aus Norddeutschland mit recht erfolgreichen Besatzmaßnahmen des Namsen-Lachses in einem Tieflandsfluß wie der Oste (welch ein Unterschied in der Flußstruktur zur norwegischen Heimat!) und mit der erfolgreichen Wiederkehr von norwegischen Vosso-Lachsen in die Bröl im Rheinsystem deuten darauf hin, daß im Erbgut europäischer Lachs-Wildpopulationen ein relativ breites Potential vorhanden ist, um mit vorhandenen Wechseln im Lebensumfeld erfolgreich zurechtzukommen. So kommen Jungfische norwegischer Herkunft aus Flüssen, die im Jahresverlauf kaum wärmer als 13-15 Grad werden, in Norddeutschland selbst mit Wassertemperaturen über 20 Grad zurecht und wachsen dabei noch hervorragend ab.
Unter diesem Blickwinkel erscheinen die Befunde der Genetiker, die zuweilen am Unterschied der Zusammensetzung eines einzigen Eiweißes Entscheidungen über geografische Großrassen festmachen - und rennomierte naturwissenschaftliche Zeitschiften finden, die dies veröffentlichen - in einem für die Praxis weniger bedeutsamen Licht.
Dennoch muß festgehalten werden: der wirkliche Anteil der Vererbung am Erscheinungsbild, in dem uns der Lachs einer Lokalpopulation entgegentritt, ist bisher nicht erforscht. Es ist aber bekannt, daß - speziell auf quantitative Populationsmerkmale, z.B. das Verhältnis von 1-Seewinter und Mehr-Seewinter-Rückkehrern - eine Vielzahl von Einflüssen einwirkt, die mit der Vererbung wenig oder nichts zu tun haben (z.B. Größe und Qualität der Eier).
Auch die mittlerweile von vielen Seiten durch Markierungs-experimente bestätigte Tatsache, daß Früh-Abwanderer (1 Jahr Süßwasser) vorzugsweise als Mehr-Seewinter-Fische zurückkehren, hat man bisher nicht vererbungsmäßig untermauern können.
Was wir als lachsfischende Beobachter - aber genetische Laien - an Eigenschaften eines Lachsstammes wahrnehmen, ist also ein Produkt aus vielen Faktoren, unter denen die Vererbung nur einer von vielen ist. Wichtig ist sie dennoch, denn die Breite der genetischen Merkmalsausprägungen innerhalb einer Population bietet die Grundlage für Anpassungsvorgänge, wie sie bei einer Konfrontation mit einem neuen Lebensraum zwangsläufig zu bewältigen sind.
Welche Bedeutung hat der Ursprung des Besatzmaterials für Wiedereinbürgerungsmaßnahmen?
Auf der Basis der Erkenntnis, daß nicht genau bekannt ist, welche Merkmale von Lachspopulationen genetisch oder durch andere Faktoren bestimmt sind, kann eine sinnvolle Strategie nur dahin gehen, die evtuellen Risiken der Auswahl des Initialmaterials nach bestem Wissen und Gewissen zu minimieren.
Folgendes kann nach Erkenntnis der LMS als Richtlinie gelten, um das Risiko ökologischer wie finanzieller Fehlschläge zu begrenzen:
- keine Lachse aus Übersee (Amerika)
- keine Lachse aus klimatisch extrem unterschiedlichem Herkunftsgebiet
- möglichst Lachse aus benachbarten Gewässersystemen
- Langdistanz-Wanderer in lange Flüsse - Kurzdistanz-Wanderer in kurze Flüsse
- keine Lachse aus vom Menschen genetisch beeinflußten Stämmen (z.B. Zuchtlachse)
- Lachse ausschließlich aus seuchenfreien Beständen
Dies ist von allergrößter Wichtigkeit
Ein einziger Fehltritt kann mit einem Schlag die gesamten bisherigen Wiedereinbürgerungsbemühungen zunichte machen !! Norwegen hat auf diese Weise bereits eine erhebliche Zahl von Lokalpopulationen für immer verloren. Immer auf eine entsprechende vetrinärmedizinische Überwachung achten und ohne eine von dort schriftlich bescheinigte Unbedenklichkeit kein Material ankaufen!
- Beim Vorhandensein mehrerer geeigneter Stämme mit Material aus allen beginnen
Nach unserer Einschätzung sind diese Maßgaben das, was aufgrund der gegenwärtig verfügbaren Information zur weitestgehenden Vermeidung von evtl. nicht mehr korregierbaren Risiken praktisch machbar ist. Die o.g. Punkte sind keine ehernen, unumumstößlichen Gesetze, sondern eine Umsetzung des gegenwärtigen Wissensstandes. Ihr Sinn liegt darin, begründbare Thesen als Grundlage für eine fruchtbare Diskussion zu schaffen. Die LMS ist dankbar für jede Anregung, Kritik und Information, die uns alle im Wissen zu diesem Neuland weiterbringt.
Peter Olbrich, LMS